Hype um Social Media

Tummelt ihr euch auf Social Media? Beispielsweise auf LinkedIn, dem «Facebook für Businessleute»? Was hält ihr davon? Generieren eure Storys oder Beiträge da irgendwelche Aufträge? Ist es gerechtfertigt, täglich Zeit auf den SM-Kanälen zu verbraten? Oder wäre es nicht gescheiter, in dieser Zeit eine neue Sprache zu lernen, einen Töpferkurs zu belegen oder die Oma zum Arzt zu fahren?

Bei Instagram, Facebook und LinkedIn mach ich mit. Vorderhand. Gehört irgendwie dazu. In einem Kurs habe ich mich von einer begeisterungsfähigen Dozentin überzeugen lassen, dass sich ein Engagement auf Social Media lohne. Reichweite, Traffic, Netzwerk könne man heutzutage ohne kaum erweitern, Aufträge hole man genau hier rein. Wichtig sei, dass man das richtig angehe. Und so habe ich gelernt, was man postet, wie man postet, wann man postet. Wie man sein Profil schärft. Dass es wichtig sei, sich in Diskussionen einzubringen. 

Professionelles Marketing auf Social Media ist eine zeitintensive Angelegenheit. Nach ein paar Jahren hoffnungsfrohen Engagements auf den erwähnten Kanälen ist es Zeit für eine kurze Analyse.

Instagram finde ich für meine Tätigkeit als Texterin völlig sinnlos. Das Feedback auf sprachlichen Mehrwert ist gelinde gesagt null. Wer schöne Fotos vom Essen oder von seinen Reisen posten will, kann hier Spass haben. Bei mir hingegen ist längst die Einsicht eingekehrt, dass der Aufwand mehrerer wöchentlicher Posts zum Thema gut Schreiben den Ertrag nicht rechtfertigt. 

Facebook war mein erster Social-Media-Kanal. Der Aufwand, hier ab und zu was hochzuladen, hält sich in engen Grenzen. Daher beglück ich meine «Freunde» weiterhin in homöopathischen Abständen mit einer sprachlichen Stilblüte oder einer kurzen, kompakten Information zu besserem Deutsch. Doch auch hier hege ich keine Erwartungen mehr an einen ROI. Denn abgesehen von ein paar versprengten «Aha, wusste ich nicht» kommt kaum Feedback. Dass ich noch bei Facebook bin, liegt daran, dass ich hier sporadisch etwas über ehemalige Weggefährten lese und dann weiss, dass es sie noch gibt. 

Doch nun zu LinkedIn, der Plattform, auf der sich Geschäftsleute tummeln. Hier soll man sich ganz easy vernetzen, diskutieren, kommentieren, Aufträge generieren. Ha! Meine Erfahrungen sind ernüchternd. 

Zunächst stellte ich fest, dass der lukrativste Geschäftszweig der LI-Community zu sein scheint, anderen zu erzählen, wie man LinkedIn erfolgreich einsetzt. Der guten Ratschläge sind viele:

  • Man müsse für die Leser oder für seine Follower einen reellen Mehrwert generieren.
  • Man müsse authentisch sein. 
  • Man müsse mitdiskutieren.
  • Umfragen zu starten, scheint sehr wichtig! Was da an unnützen Erhebungen herumgereicht wird, lässt mich an der Potenz moderner Wirtschaftsnetzwerke zweifeln.
  • Mein Lieblingstipp: Man müsse «seine Komfortzone auch mal verlassen» und sich unbedingt mit Videobotschaften ans lesende Businessvolk wenden. Dies wird einem wortwörtlich von jedem Social-Media-Coach inflatorisch um die Ohren gehauen.

Der Ratschlag «Komfortzone verlassen», rollt mir die Zehennägel hoch. Wie kommt man dazu, erwachsenen Menschen, die man vermutlich nicht persönlich kennt, zu raten, ihre Komfortzone zu verlassen? Das ist Pseudopsychologie mit Fernrohr vom Hochsitz aus.

Ein weiteres beliebtes Thema: Abnehmen und Fitness. Öffne ich LinkedIn, erscheint bei mir an zweiter Position jeweils eine Dame mit blasierter Miene, die scheinbar ihre Komfortzone täglich verlässt und uns mit Videobotschaften übers Abnehmen beglückt. Sie erklärt der Business-Community, wieso sie beim Abnehmen scheitert. Und sie preist hartnäckig ihre garantiert effektivste Methode an, um als Businessfrau zwei Kleidergrössen zu schrumpfen. Wow, was für ein Geschäftsmodell.

Von der Selbstoptimierer-Sorte tummeln sich viele auf LinkedIn. Hast du sie mal im Netzwerk, kommt zack die Frage, ob ich Probleme hätte, mich in meinem Ach-so-happigen-Stressarbeitstag noch gesund zu ernähren. Oder ob man mir helfen solle, regelmässig Work-outs zu machen. Ich empfinde es als schampar unhöflich, wenn man einfach mal davon ausgeht, der oder die Neue im Netzwerk hätte es nicht so mit gesundem Essen und Sport.. Übertragen wir das auf den direkten Kontakt: ein No-Go.

Mehrwert wo? Für wen? 

Dann gibt es eine immense Anzahl Ratgeberinnen für mehr Erfolg im Business durch das richtige Mindset und die arbeiten mit banalen Kalendersprüchen. Beispiele gefällig? Voilà:

  • Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
    So viel philosophischem Tiefgang im Berufsleben überfordert mich. 
  • Es gibt keine Zufälle – es fällt zu, was fällig ist.
    Üble Aussage. Ich empfinde es als unsägliches «Von-oben-Herab» an all jene, denen das Schicksal übel mitspielt. In etwa: Auch ich (auf dem hohen Ross des Erfolges) hab nur bekommen, was fällig ist. So ein Bockmist.
  • Deine Gedanken bestimmen deine Realität
    Genau – erzählen wir das den Flüchtlingen, die irgendwo bei Minustemperaturen in einer Zone zwischen zwei Stacheldrähten ausharren müssen. Ändert eure Gedanken, dann wandeln sich die unüberwindbaren Hage zum Sesam-öffne-dich. Noch Fragen?
  • Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen. Und wer sie aufzuheben versteht, hat ein Vermögen.
    Geht’s noch dämlicher?

Hinzu erhält man ein Füllhorn an Weisheiten, die besagen, harte Arbeit, das richtige Mindset, Fokus und Netzwerk führten unausweichlich zum Erfolg. Im Umkehrschluss: Alle Erfolglosen arbeiten nicht hart, fokussieren nicht richtig, pflegen das falsche Gedankengut – und überhaupt: selbst schuld.

Wow. Ist das das Niveau der dynamisch arbeitenden Gesellschaftschicht? Dann Gnade uns Gott.

Konklusion – ich weiss nicht, ob ich mir die Social-Media-Kanäle weiter antun will. Denn viel Mehrwert habe ich für mich dort nicht entdecken können. Bis ich mir im Klaren bin, poste ich noch ein Weilchen Beiträge. Mit ganz, ganz viel Mehrwert. Garantiert.